Rundbrief Nr. 36 vom 12.
Juni 2015 - Herz-Jesu-Monat Juni - Herz-Jesu-Andacht
Von Pater Peter Lippert
S.J.
Mein viellieber Freund!
Dein Brief hat mich entzückt, trotz der großen Not, die daraus
sprach. So kindlich schlicht und unbefangen und zugleich so rührend
zaghaft hast Du mir Deine Gedanken über die Herz-Jesu-Statue Deines
Pfarrers vorgelegt nicht ohne Bangen, wie ich all das wohl aufnehmen
werde, und doch mit soviel tapferem Vertrauen! Da habe ich wieder
ganz deutlich Deine Seele gesehen, so wie ich sie einst kannte und
liebte; die Jahre und die weiten Länder, die sich unterdessen
zwischen uns gelegt, konnten ja keinen Zwischenraum und keine
Entfernung zwischen unseren Herzen bewirken, und wir haben wieder
einmal das alte Vorurteil widerlegt, als ob die Nähe der
Menschenherzen beieinander dasselbe sei wie die räumliche Nähe
ihres Körpers, als ob sie eine Funktion des Baumes sei (liebst Du
noch die mathematischen Vorstellungen wie dazumal, weißt Du noch?)
Im Gegenteil, in räumlicher Nähe gerade zerbrechen so viele
Menschen und Herzen aneinander; die Nähe und der Besitz und das
Vereintsein ist nur eine Funktion der Liebe; ein Herz besitzen heißt:
Es lieb haben und sich von ihm lieb haben lassen, und sonst heißt es
gar nichts. Alles andere, das Räumliche, Körperliche, Bildliche,
alle Laute und Zeichen sind nur Symbole, nützlich, aber auch
entbehrlich Daraus kannst Du nun schon sehen, daß ich Deine
„Ketzereien“ über die Herz-Jesu-Andacht vollauf verstehe, und
wenn ich über etwas staune, dann ist es nur die Sicherheit und
Genauigkeit Deiner Gedanken.
Du hast ganz recht: der
Kern und Gehalt der Herz-Jesu-Verehrung, das Einzige, was in ihr
lebendig ist und was uns in Flammen setzt, das sind die Gesinnungen
Jesu Christi, das heißt die seelische Nähe, in der er beim Vater
ist und in der er bei uns ‘wohnt. Diese wunderbare Welt von Liebe,
Gehorsam, Hingabe, Treue, Bereitschaft und Tat, die er da in seiner
gottmenschlichen Seele trug und dem Vater und um des Vaters willen
auch uns gehört, das ist das Herz Jesu. Herzensgesinnungen können
vir sie nennen, venn wir jeden Zweifel ausschließen wollen, was vir
meinen. Diese Gesinnung, dieses „Herz“, das ist wahrlich nichts
Süßliches, Weinerliches, Schwächliches, Jarnmerndes, sondern etwas
Starkes und Heldenhaftes, voll von dem Stolz einer Welt und Tod
überwindenden Tat, voll von Ernst und Männlichkeit, und zugleich
soweit, so aufgeschlossen, so verstehend, so hingebend und zart, wie
nur je ein ganz gütiges, sich opferndes Wesen sein konnte.
Unsre Betrachtungsbücher
und Prediger machen oft den Fehler, daß sie gleich ohne weiteres die
Gesinnungen Jesu gegen uns zu schildern suchen. Das Wesentliche, das
Einzigartige, das eigentlich Wundervolle an ihm, seine Gesinnung
gegen den Vater übersehen und übergehen sie, und so kommt auch die
ganze Größe und Weite und Kraft, der Reichtum und das hinreißende
Feuer der innern Welt Jesu nicht zur Geltung und uns zum Bewußtsein.
Man muß ihn als den Knecht Jahves, als den einzigen wahren Anbeter
und Liebhaber Gottes, als den Sohn des Vaters erkennen, ehe man ihn
als unseren Heiland und Freund begreift.
Und wer nun Jesus in
diesem seinem innersten Wesen und Wollen versteht und liebt, wer ihm
um dieser Gesinnung willen huldigt, ihm dankt und grenzenlos
vertraut, wer sich an seine Hand hängt und ihn anfleht: Nimm auch
mich mit zu deinem Vater! Wer sich an seine Brust schmiegt wie einst
der Jünger Johannes, um so mit aufgenommen zu werden in diesen
weiten Seelenraum, der Gott und Menschen umfaßt, und um selber so
ein gotterfüllter Raum zu werden und die Absicht Jesu verwirklichen
und eigenes und fremdes Versagen sühnend wieder gutmachen zu helfen,
der ist ein Herz-Jesu-Verehrer, auch wenn er niemals ein
Herz-Jesu-Bild in seinem Zimmer oder in seinem Gebetbuch hat, auch
wenn er niemals seinen Heiland als „Herz“ anredet.
Damit komme ich nun
schon zu der äußeren Symbolisierung der Herzensgesinnungen Jesu.
Und da möchte ich doch etwas stärker betonen, als Du es getan hast,
daß eine sinnenfällige Darstellung auch ihren Wert hat. Wir müssen
doch irgend ein Wort haben, mit dem wir genau das sagen oder
wenigstens meinen können, was an Jesus das innerste und Wesentliche,
das Stärkste und Lebendigste, das Wärmste und Entzückendste ist.
Und dafür steht uns nun wohl kein anderes Wort zur Verfügung als
das Wort Herz, wie abgegriffen, ja mißhandelt dieses Wort auch sein
mag. Aber es verliert gleich seine Abgegriffenheit und wird vie
neugeprägt, sobald wir es auf ein Wesen anwenden, das uns ganz lieb,
ganz vertraut, ganz nahe ist. Dann reden wir nicht nur ganz
ungescheut, in Gedanken und Worten, von diesem Freundes-, diesem
Frauen-, diesem Mutterherzen; wir reden einen solchen Menschen auch
direkt so an und sagen ihm: Du liebes Herz, du gutes, reines, du
goldenes Herz! Und wer nun die innere Welt Jesu Christi, die
schönste, reichste, reinste, stärkste, die es je gegeben hat,
erfaßt hat und inne wird, daß diese Welt auch ihm gehört, wie
sollte der nicht auch in den entzückten Ruf ausbrechen: O du
allerheiligstes und liebstes Herz, du Herz meiner Anbetung und meines
Vertrauens, du meine Hoffnung und meine Heimat
Freilich gehört dazu
also eine Art Ekstase der Erkenntnis, Bewunderung und Liebe, ein
Hingerissensein, wenn dieses Wortsymbol des Herzens ganz erfüllt und
wahr sein soll. Was uns also schmerzlich berührt in unseren
Herz-Jesu-Büchern und Andachten, das ist nicht die Syrnbolisierung
selbst, sondern die Loslösung des Symbols von der Erkenntnis und
Ergriffenheit, die das Symbol erzeugt hat und sich seiner naturgemäß
und aus innerstem Drang bemächtigt. Das Symbol des Herzens und der
Anrede an das Herz ist wie die Form einer lodernden Flamme: Sobald
die Flamme zusammensinkt, müßte eigentlich auch die Form vergehen,
aber in unseren Gebetbüchern und Andachten bleibt sie gleichsam im
Leeren stehen, und das ist peinlich.
Aber muß und darf denn
die das Symbol erzeugende und tragende Flamme zusammensinken? Ja! Wir
können unsre Erkenntnisse nicht dauernd in gleicher Lebendigkeit und
Bewußtheit festhalten, wir können unsre Ergriffenheit nicht in
stets gleicher Ekstase bewahren. Soll also auch die Form des äußern
Sinnbildes immer wieder zerfließen, um immer wieder neu erzeugt zu
werden? Das nicht! Denn nicht jeder vermag für seine inneren
Gesichte, und wären sie noch so mächtig, die passenden und
befreienden Worte und Gebärden zu finden; so mag er sich also der
Zeichen bedienen, die schon andere geschaffen haben; und das tun wir
alle, tagtäglich, in vielfacher Weise. Warum also sollten wir nicht
auch die Anrufungen etwa der Herz-Jesu-Litanei gebrauchen können, um
unsre Liebe, unsern Dank und unsre Hingabe an diese liebenswürdigste
Herzensgüte in Worte zu fassen? Und wenn wir auch nicht immer ganz
tief ergriffen sind von dem lyrischen, ja ekstatischen Sinn dieser
symbolischen Worte, unsre Seele kann doch dabei sein und sie mit
wahrhaftiger Gesinnung gebrauchen, wenn wir nur überhaupt jemals und
immer wieder uns betrachtend versenkt haben in die Reichtümer des
Herzens Jesu; wenn nur bei unserem Beten die Erinnerung an die
Gedanken und Erlebnisse vor uns steht, mit denen vir in ganz hellen
und glücklichen Stunden von der Persönlichkeit Christi überflutet
wurden, mit denen wir hebend und ehrfürchtig ihm entgegenwallten. Ja
diese Gebetsworte können solche Erinnerung und weiterhin sogar die
frühere Helligkeit und Ergriffenheit wieder hervorrufen, wenn die
Stunde und die Gnade uns günstig sind.
So kannst also auch Du,
mein Freund, ganz wohl die Andachtsstunden in Deiner Kirche halten
und die Formeln des Gesangbuches der Gemeinde vorbeten, selbst wenn
Du Dich zuweilen ganz leer und tot fühlst. Du weißt ja nicht, wie
viele unter dem Volke gerade jetzt von der Erkenntnis und
überfließenden Liebe Jesu Christi ergriffen sind! Und wenn die
Formeln, die Du betest, Dir selbst ein Unbehagen verursachen, weil
sie Dir überspannt, gekünstelt und unwahr vorkommen, dann bedenke,
daß alle Symbole schließlich schwach und unzulänglich, ein
armseliges Gemächte sind, und wenn sie auch von Meistern des Wortes
und der Form geschaffen wären. Und was Dein feines ästhetisches
Empfinden beleidigt, das ist für das anders geartete Empfinden eines
betenden Mitchristen vielleicht geradezu wundervoll. Du hast doch
gewiß auch schon mit starrem Erstaunen wahrgenommen, wie eine
schlichte Seele an einem Bildchen oder Gedicht in Entzücken geriet,
das Dir selbst greulich war; und wie ich Dich kenne, hast Du dann,
befragt, mit gütigem Lächeln gesagt: Ja gewiß, es hat etwas in
sich! Du Guter willst doch niemand kränken! So bete also, so ernst
und warm und innig Du kannst, Deiner Gemeinde vor, und überlasse es
ihren Seelen und der Gnade ihres Heilandes, was sie daraus zu machen
vermögen.
Aber nun die
Herz-Jesu-Statue, die Dein Pfarrer aufgestellt hat! Du hast eine
anschauliche Schilderung von ihr entworfen: Das mohnblumenrote Herz,
die kornblumenblauen, aber leider etwas geschlitzten Augen, die
hektischen Farbflecke auf den Wangen usw.! Und das in eurer Kirche
mit den strengen Formen und den feierlichen Linien! Ich kann Deine
Empfindungen nachfühlen. Nun bist Du nicht der einzige Mensch,
dessen Augen so gequält worden. Hat es denn überhaupt jemals ein
künstlerisch genügendes Herz-Jesu-Bild gegeben? Ist nicht
vielleicht die sichtbare Darstellung des körperlichen Herzens an der
Christusfigur überhaupt künstlerisch unmöglich? Aber darauf kommt
es ja nicht an: Um so besser kann der reine Symbolwert hervortreten.
Was hat unser Wort Sturm oder Meer zu tun mit den Naturerscheinungen,
die wir damit meinen und die heim Klang dieser armen Worte in unsre
Erinnerungen und Vorstellungen hineinrauschen? Und ähnlich: Was hat
das Machwerk eines Farmers, der ein Herz-Jesu-Bild gefertigt hat, zu
tun mit der unermeßlichen, wunderseligen Welt von Gesinnung und Tat,
die wir meinen und verehren unter dem Symbol des Herzens Jesu? Auch
das vollendetste Bild kann im Grunde nicht mehr leisten als das
armseligste: Uns erinnern an die Liebe unsres Gottes, die uns
geschenkt worden ist in einem Wesen, das wir menschlich sehen und
verstehen können und das seinesgleichen nicht mehr hat. Daß wir
dieses gottmenschliche Wesen und Wirken, Lieben und Trauern, Leiden
und Herrschen verstehen und mit glühender Seele umklammern, das ist
allein wesentlich. Dann werden die Herz-Jesu-Bilder ebenso anfangen
zu uns zu sprechen, vie etwa die blauen Flecken auf unsern
Landkarten, in deren Anblick uns leicht ein süßes Heimweh nach den
warmen und blauen Meeren des Südens ergreift.
Aber, sagst Du, muß denn
die Versinnbildung der Herzensgesinnung Christi gerade durch
sichtbare Darstellung des körperlichen Herzens geschehen? Du meinst,
das Kreuzbild auf Deinem Betpult oder der Samberger-Christus seien
doch viel bessere Symbole. Da hast Du recht, sie können es sein;
aber es sind vieldeutige Symbole. Sie können das Heldentum der
Herzensliebe des Gottessohnes bedeuten, aber auch, und vielleicht
noch besser, die zerschmetternde Wucht göttlicher Ratschlüsse.
Denke nur an den Isenheimer Gekreuzigten! Sie können an den
allverstehenden Heiland erinnern, aber auch an den furchtbaren Ernst
des Allwissenden, der Herz und Nieren durchforscht. So der
Samberger-Christus! Wir brauchen aber ein Symbol, das uns ganz genau
und eindeutig an das Seelenleben und die Liebeskraft des
gottmenschlichen Heilands erinnert, die wir eben meinen, wenn wir von
seinem Herzen reden. Und eben um dieser Eindeutigkeit, um dieser
scharfen Umrissenheit willen läßt die Kirche als Herz-Jesu-Bilder
nur solche gelten, die das körperliche Herz sichtbar zeigen. In
welchem Bild aber Du das Herz Deines Heilandes am besten schaust und
verehrst, das ist Dir überlassen. Versenke Dich also auch weiterhin
in die Betrachtung Deines Kruzifixes! Viele und große Heilige haben
nie ein anderes Heilandsbild gehabt als das Kreuz und sind doch oder
vielmehr gerade deswegen wahre Liebhaber und Nachfolger des Herzens
Jesu geworden.
Und damit komme ich nun
zum Hauptpunkt meines Schreibens: Bleibe frei, mein lieber Freund,
bleibe frei! Laß Dich nicht von Menschenfurcht bestimmen, beirren,
beängstigen! Ein freier Mensch wird nichts ablehnen, in Bausch und
Bogen, unbesehen und ungeprüft, was andere lieben oder schaffen. Er
wird aber auch ebensowenig die Gedanken und Methoden anderer sich
anquälen, ans bloßer Angst, etwa allein zu stehen. Diese Angst ist
um so gefährlicher, als sie zum Teil berechtigt ist; die Wahrheit
und erst recht die Heilswahrheit wird nie das Sondergut eines
einzelnen sein, der in Frontstellung allen anderen sich
gegenübersteht; der Abgesonderte wird immer auch ein isolierter, ein
einseitiger Mensch sein. Nun, diese Gefahr liegt hier in Deinem Falle
ja gar nicht vor; die Kirche hat Dir volle Freiheit gelassen, wie Du
Dein Leben in und mit Gott und Deinem Heiland gestalten willst,
solange Du nur den rechten Glauben, die treue Erfüllung der Gebote
und Deiner priesterlichen Standespflichten wahrst. Innerhalb dieses
weiten Bezirkes bist Du ganz Deiner eigenen Seele mit ihrer besondern
Eigenart und der Gnade Gottes, die Dich führt, überlassen. Du
brauchst also nicht zu zagen. Richte Dir Deine Gebete und Andachten
ein, wie sie Dir am besten liegen und helfen! Halte Dich an Dein
Heilandsbild, so wie Dein Forschen und Betrachten und Deine inneren
Helligkeiten es Dich sehen lassen. Und erst recht bediene Dich in
Deiner Zwei-Einsamkeit mit Gott der Worte oder der Wortlosigkeit, die
Dir von Herzen kommen.
Du bist doch ein
Herz-Jesu-Verehrer, weil Du Jesus liebst und weil Du ihn liebst um
seiner Liebe willen, und weil Du ihn so liebst, wie der Vater sein
Wohlgefallen an ihm hat, und wie er dem Vater und Dir selbst zugetan
ist. Und Du bist ein Herz-Jesu-Jünger, weil Du, ach, da laß mich
schweigen, Du Lieber, damit ich Dein unwissendes Gutsein nicht störe!
Ja, das bist Du, auch wenn Du niemals in ekstatischer Rede zu ihn
sagtest: O Herz Jesu! Und so bist Du auch noch ein rechter Priester
und Apostel, denn auch dazu braucht es schließlich nichts anderes
als das Eine und Einfache: Du sollst Gott lieben aus allen Kräften,
und Deinen Nächsten wie Dich selbst!
Und so stehst Du auch
nicht allein und nicht abseits. Denn, das habe ich immer beobachtet,
ganz aufrichtige und aus innerstem und reinem Herzen kommende
Gedanken sind immer auch Gemeinschaftsgedanken: Sie leben immer auch
in anderen, ja in allen, die überhaupt zu etwas Eigenem vorgedrungen
sind. Darum sollst Du Dich des Mutes freuen, mit dem Du Deine eigenen
Gedanken zu denken wagst, auch wenn sehr viele sie nicht verstehen
würden. Nicht als ob Du Dir selbst etwas Ungebührliches zutrautest,
sondern weil Du der Hand vertraust, die uns führt und die denen, die
Gott lieben, alles zum Besten gereichen läßt, selbst ihre eigenen
Gedanken und die eigenen Wege, die sie zagend und leidend und doch
unweigerlich gehen müssen.
Deine Wege aber, o Freund,
möchte auch ich stets gehen!
Quelle: Buch: „Von
Seele zu Seele“ - von Peter Lippert S.J. Briefe an einen Menschen -
Beitrag: Herz-Jesu-Andacht - Seite 196-205 - 42. Auflage 109.-112.
Tausend - 1959 - Herder Verlag Freiburg - die 1. Auflage erschien
1924 - Pater Peter Lippert war Priester - geboren 23. August 1879 in
Altenricht, einer kleinen Ortschaft bei Amberg - gestorben 18.
Dezember 1936 in Locarno - Freiburg im Breisgau, den 11. Mai 1951 - +
Imprimatur, Burger, Generalvikar - Herder-Druck Freiburg im Breisgau