Rundbrief Nr. 22 vom 15. Mai 2008 - Das Vereinigungsgebet in die Gesinnungen des Herzens Jesu
Wir heißen Christen, weil wir zu Christus gehören. Von ihm haben wir unseren Namen. Wir sind seine Jünger und Schüler. Er ist unser Lehrer und Meister. Diese Beziehung bringen wir für die Lebenspraxis zum Ausdruck, in dem Wort Christus Nachfolge. Nachfolgende, das heißt, jemanden nachgehen, auf ihn schauen, es ihm gleichzutun, versuchen, in seinen Fußstapfen zu treten. Nachfolge Christi verlangt, Mühe darauf zu verwenden, so zu leben und zu denken wie der Meister; sie verlangt, im persönlichen Leben arbeiten und streben allzeit an ihm Maß zu nehmen.
Mit dem Wort Nachfolge ist aber unsere Verbindung mit Christus in ihrer ganzen Dichte noch nicht umschrieben. Christliche Wirklichkeit reicht tiefer. Sie besagt nicht nur ein Leben wie er, sondern Leben in ihm. Seit unserer Taufe sind wir in ihm, er ist in uns. Nachfolge Christi ist begründet in unserer seinsmäßigen Verbundenheit mit ihm, und sie erhält von daher den Charakter einer inneren Verpflichtung. Christliches Leben will die in der Taufe geschenkte Einheit im praktischen Lebensvollzug zur Darstellung bringen. Das ist keine leichte Aufgabe. Es kann nur erreicht werden, wenn einer persönlichen Willens ist, sich täglich in Christus hineinwandeln zu lassen; wenn einer bemüht ist, sich selbst immer mehr zu verlassen und dafür Christus anzuziehen.
Unser Name „Herz-Jesu-Priester“ und die uns eigene Herz-Jesu-Frömmigkeit bringen wir zum Ausdruck, daß unsere Beziehung zu Christus eine betont persönliche Note haben muß. Diese Formulierungen erhalten nur einen rechten Sinn, wenn wir sie als Programm und Auftrag für eine personale Beziehung zu Christus begreifen. Darum ist unser geistliches Leben dahin ausgerichtet, einen Gleichklang unseres Herzens mit dem Herzen des Herrn herzustellen. Gleichzeitig muß, aus dem Verständnis der Herz-Jesu-Frömmigkeit heraus, auch unsere Beziehung zum Nächsten von Herzlichkeit, von Liebe und Güte, von Vertrauen und Gemeinsamkeit gekennzeichnet sein.
Unser Stifter, Pater Dehon, hat uns für unser religiöses Leben die Übung der „Vereinigung“ hinterlassen. Vereinigung, eins sein, in Einheit mit Jesus Christus zu sein, ist eigentlich das große Ziel unseres religiösen Lebens. Aber als Übung ist es eine ausgesprochene betrachtende Gebetsform. Der Betrachtende macht dabei den Versuch, die Gesinnungen, die Jesus zu eigen waren, besser gesagt zu, eigen sind, in sich selbst herzustellen; er versucht immer wieder einen Gleichklang des eigenen Herzens mit dem Herzen des Herrn von Tag zu Tag mehr und mehr zu erreichen.
Pater Dehon hat für die tägliche Übung der Vereinigungsbetrachtung ganz bestimmte Stationen aus dem Leben Jesu ausgewählt. Diese Stationen sind: Nazareth, Kalvaria und Ölgarten. Diese Auswahl ist nicht zufällig. Er hat diese Stationen bewußt deshalb ausgewählt, weil die Gesinnungen des Herzens Jesu gerade in diesen konkreten Lebenssituationen einen besonderen Ausdruck finden. Gleichzeitig war er wohl überzeugt, daß wir in der Betrachtung dieser Lebenssituationen Jesu eine gute Schulung als Herz-Jesu-Priester erfahren würden; und daß uns in diesen Situationen des Lebens Jesu auch die praktische Seite eines Lebens der Liebe und der Hingabe deutlich werde.
Wie war das Leben Jesu in Nazareth? Jesus lebte mit Maria und Josef so wie die armen und gewöhnlichen Leute in Nazareth. Mit ihnen teilte er das Leben, den Lebensstandard und die soziale Stellung. Jesus nahm dies alles als den Willen Gottes an. So konnte er allen Armen wie ein Bruder sein. Gleichzeitig bezeugte er, daß es im Leben nicht auf die großen Taten ankommt, auf eine hervorragende soziale Stellung, sondern daß es vor allem anderen an Bedeutung ist, im Willen Gottes zu stehen. Wo das ist, wie das ist, wann das ist, das ist gleichgültig. Wer aber im Willen Gottes steht, der steht in der Liebe Gottes, der ist in der Liebe Gottes des ewigen Vaters geborgen. Im Gehorsam gegen den Willen Gottes, in der unscheinbaren Situation von Nazareth bringt Jesus seine Liebe zum Vater im Himmel zum Ausdruck. Aber in der Annahme des Lebens der Verborgenheit von Nazareth erfährt er die Geborgenheit im Herzen des Vaters! Aber auf Grund dieser inneren Herzenseinstellung ist das Leben in Nazareth von gleicher Bedeutung wie alle anderen Jahre seines Lebens.
Es wird aber mit einer solchen Lebenseinstellung auch deutlich zum Ausdruck gebracht, daß einer in seinem Herzen die Bereitschaft hat, sich von Gott führen und leiten zu lassen, und zwar zu den Aufgaben, die Gott für ihn wünscht oder vorgesehen hat. Unsere Denkweise ist ja oftmals folgende: Wir möchten in der Öffentlichkeit stehen; möchten beachtet und geachtet werden. Wir möchten vor allem persönlich etwas leisten und dann auch gekannt und anerkannt werden. Wir meinen zu leicht, ein einfaches Leben, ein Leben ohne Karriere, ein Leben ohne große eigenständige Wirkmöglichkeit sei ein verkümmertes Dasein. Jesus zeigt uns, wo wir ansetzen müssen, welche Denkweise wir erlernen müssen. Er zeigt uns, wie wir lernen müssen, umzudenken, wenn wir ein Leben der Hingabe und Liebe zusammen mit ihm praktizieren wollen. Nachfolge des Herzens Jesu muß hinsichtlich einer lauteren Hingabe an den Vater gereinigt werden in einem Leben in Verborgenheit. Geltungsstreben muß auf den richtigen Platz gerückt werden. Außerdem, wer arm ist mit den Armen, der verläßt sich leichter ganz und gar auf Gott. Von Jesus in Nazareth lernen wir eine Weltsicht und ein Verständnis des Strebens nach Selbstverwirklichung des Lebens, das den Vorstellungen der Welt und dem Streben vieler Menschen entgegengesetzt ist.
Um tiefer zu verstehen, um was es geht, wenn wir Nazareth betrachten in der Vereinigung, möchte ich einen bedeutenden und bekannten Mann erwähnen. Charles de Foucauld. Sein tiefstes Bestreben war: „Nazareth zu leben !“ Er meinte damit Verborgenheit, Einfachheit, Armut mit den Ärmsten, dastehen, wo niemand stehen möchte; aber ganz und ungeteilt Gott hingegeben zu sein. Am Beispiel des Charles de Foucauld können wir erfahren, daß es auch in unserer Vereinigungsübung nicht nur um ein paar tiefe Gedanken geht, sondern um eine Lebenshaltung, um eine bleibende innere Herzenseinstellung. Wir können aber auch erahnen, was unser Stifter meinte, wenn er uns Nazareth so sehr an’s Herz legte. Nur unter der Mühe täglicher Betrachtung läßt sich das verwirklichen, kann einer langsam hineinwachsen, kann das weggeräumt werden, was im eigenen Denken und Wollen und Leben dem „Geist von Nazareth“ entgegensteht.